KI – die stille Revolution von unten?

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Wenn ich heute in Workshops sitze, erinnert mich vieles an frühere Digitalisierungswellen – und gleichzeitig ist alles völlig anders. Wer schon ein paar Jahre in diesem Feld unterwegs ist, kennt das alte Muster: Irgendwo im Unternehmen wurde Software ausgewählt, Monate später wurde sie ausgerollt und die Belegschaft sollte neugierig und dankbar sein.

In der Realität war die Stimmung eher verhalten. Viele sahen mehr Aufwand als Nutzen, Trainings wurden zum Zwangstermin, und nicht wenige nutzten fehlende Schulungen als legitimen Grund, bestimmte Aufgaben nicht ausführen zu können. Digitalisierung ging selten von den Menschen aus – sie wurde ihnen gebracht.

Heute erleben wir das Gegenteil, und zwar so deutlich, dass ich beim Beobachten manchmal schmunzeln muss. In nahezu jedem Workshop nutzen fast alle Teilnehmenden ChatGPT oder ähnliche Tools – privat, beruflich, oft täglich. Und niemand wartet auf ein Training. Diese Zeiten sind vorbei.

Die Menschen experimentieren einfach, weil es sofort Sinn ergibt und unmittelbar Zeit spart. Es ist die erste Technologie, die nicht auf Akzeptanz angewiesen ist, weil sie längst akzeptiert wurde, bevor Unternehmen überhaupt reagieren konnten.

Diesmal treiben nicht die Unternehmen die Digitalisierung voran, sondern ihre Mitarbeitenden. Eine leise, pragmatische Revolution von unten.

Warum das so ist? Tools wie ChatGPT & Co. liefern sofort spürbaren Nutzen. Sie passen sich an den Menschen an – und nicht der Mensch an sie. Häufig wird schon privat genutzt, bevor es bei der Arbeit erlaubt ist. Wer abends eine komplexe E-Mail in Minuten sortiert bekommt, möchte tagsüber nicht wieder in den alten Zustand zurück. Der Vergleich fällt schlicht zu deutlich aus.

Natürlich entstehen dabei auch neue Herausforderungen. Schattennutzung, Sicherheitsfragen, qualitative Unterschiede in der Arbeit – all das existiert.

Diese Herausforderungen sind Aufgaben für die Organisation. Es sind lösbare Aufgaben, solange Unternehmen sie ernst nehmen und nicht versuchen, die Uhr zurückzudrehen.

Was bedeutet das nun für Unternehmen? Sie müssen verstehen, wie ihre Mitarbeitenden bereits arbeiten. Sie müssen klare Leitplanken definieren, die Sicherheit schaffen, ohne Geschwindigkeit abzuwürgen. Und sie sollten offizielle Tools bereitstellen, bevor sich Teams auf eigene Lösungen verlassen. Vor allem aber müssen Führungskräfte lernen, diese neue Dynamik zu steuern, statt sie zu bremsen.

Mein Fazit? Wir stehen mitten in einem historischen Rollenwechsel. Nach Jahrzehnten top-down verordneter Digitalisierung beginnt zum ersten Mal eine bottom-up getriebene Professionalisierung des digitalen Arbeitens.

Die Mitarbeitenden haben begonnen, sich ihre eigene Effizienz zu bauen. Und die Unternehmen? Nun, die müssen jetzt hinterherdigitalisieren. Ein Satz, den ich früher nie für möglich gehalten hätte.

Wenn man so will: Eine Revolution ohne Banner, aber mit Chat-Oberfläche.

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